Prof. Dr. Martin Zimper, Zürcher Hochschule der Künste

22. European Newspaper Awards, Kategorie 18, Podcasts

Prof. Dr. Martin Zimper ist Leiter der Fachrichtung Cast/Audiovisual Media im Department Design der Zürcher Hochschule der Künste. Er ist außerdem Mitglied der Jury des European Newspaper Award. Er gibt in diesem Beitrag einen Überblick über die Preisträger in der Kategorie Podcasts des 22. Wettbewerbs. Mehr zur Person gibt es in diesem LINK.

Die Einreichungen in der Kategorie «Podcast» nehmen jährlich zu und zeigen eindeutig den Trend auf, dass Printmedienhäuser in Zusammenhang mit ihren Zeitungstiteln vermehrt in Audio-Content investieren, entweder durch Zukauf von Produzenten oder durch die Etablierung eigener kleiner Podcast-Teams. Dank Smartphones, schnellerem Mobilfunk und Headphones steigt die Podcast-Nutzung rasant. Das Medium Podcast steht als Massenmedium erst am Anfang und experimentiert mit Genres und Formaten. Meist sind es reine Wortinhalte. Die Stimmen, Moderatoren und Journalistinnen und die Beziehung des Publikums zu ihnen sind wohl der wichtigste Erfolgsfaktor. Mit klassischem Radio sind Podcasts nicht vergleichbar: es entsteht etwas, das als nah, persönlich, intim und direkt wahrgenommen wird.

Hamburger Abendblatt: „Die Podcast-Offensive“

2019 startete das Hamburger Abendblatt seine ersten Podcasts – mit dem Ziel, eine jüngere Zielgruppe zu erreichen und das Hamburger Abendblatt als Audiomarke zu etablieren. Heute veröffentlicht die Redaktion 21 verschiedene Podcast-Serien. Das Spektrum reicht von täglichen Nachrichten-Podcasts über Fußball, Kunst, Literatur, klassische Musik, Theater, Medizin, Krimi, Wein, Kunst, Wohnen, Nachrufe, Ernährung, Sexualität und mehr. Insgesamt wurden die Abendblatt-Podcasts seit 2019 mehr als 2 Millionen Mal heruntergeladen.

Jeder Podcast ist auch ein crossmediales Projekt: Die Gespräche erscheinen in verschiedenen Formaten, auch in schriftlicher Form, auf Abendblatt.de und in der gedruckten Zeitung.

Das „Hamburger Abendblatt“ erhielt eine „Judges‘ Special Recognition“ für die Tatsache, dass das Medium intensiv auf serielles Audio-Storytelling setzt. Die Vielfalt an Genres, Hosts und Shows ist beeindruckend. Die Zeitung selbst spricht von „Podcast-Offensive“: Vom Sex-Podcast bis zur Weinverkostung, eine Bischöfin lädt regelmässig zum „Blind Date“ und Chefredakteur Lars Haider talkt wöchentlich in „Entscheider treffen Haider“. Die top produzierten Inhalte der Podcasts werden crossmedial gestreut, funktionieren aber auch nur über das Hör-Medium.

Zu den Podcasts geht es HIER.

Beispiel für crossmedialen Einsatz der Podcasts des Hamburger Abendblatts.

Beispiel für crossmedialen Einsatz der Podcasts des Hamburger Abendblatts.

Der Standard: Wie man richtig atmet

Die Folge ist Teil der Podcast-Reihe von «Besser Leben – der «Standard»-Podcast zum Glücklichwerden» mit Martin Schauhuber und Silvia Thaler, die wöchentlich gute Ratschläge zum «Besser leben» selbst testen und über ihre Erfahrungen direkt berichten. In diesem Fall: richtig atmen mit zwei Übungen, die auch die Hörer ausprobieren können. Durch die Selbsterfahrung der beiden Hosts ein glaubwürdiges Format.

Zu dem Podcast geht es HIER.

Der Tagesspiegel: «Eine Runde Berlin»

Die Berliner Ringbahn hat 27 Stationen und benötigt für eine Runde 60 Minuten. Ann-Kathrin Hipp setzt sich einmal monatlich mit einem Gast aus Berlin in die Ringbahn zu einem einstündigen Podcast-Talk. So fährt sie zum Beispiel mit Kevin Kühnert, einem prominenten SPD-Jungpolitiker, nachts durch Berlin. Das ungeschnittene Format ist originell und innovativ. Es überzeugt durch Geräusche und O-Töne der Ringbahn sowie durch die Aufgabe für den Gast, mit einem Fahrgast ins Gespräch zu kommen. Durch die Gesprächsführung der Reporterin spielt der Podcast sein grösstes As aus: man glaubt tatsächlich, das Gespräch prominenter Sitznachbarn in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu belauschen.

Dies ist der LINK.

Handelsblatt Crime: Der Fall Wirecard

In einer 12-teiligen Podcast-Serie wird der tiefe Fall des DAX-Unternehmens Wirecard als aufwändig produziertes Audio-Feature nachgezeichnet. Jede Folge dauert ca. 30 Minuten und besteht aus zahlreichen O-Tönen und Interviews. Die Serie ist Teil einer crossmedialen Berichterstattung der Zeitung, funktioniert aber auch als alleinstehendes Audio-Medium. Es überzeugt durch journalistische Recherche-Qualität und durch immersives Audio-Storytelling.

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Handesblatt Disrupt

Der Podcast über neue Ideen und die Macher der digitalen Welt: Sebastian Matthes ist Digitalchef der Wirtschaftszeitung «Handelsblatt» und präsentiert in einer Art Magazin wöchentlich Meldungen, vor allem aber längere Interviews mit Digital- und Technologieverantwortlichen aus Unternehmen, aber auch mit akademischen Vordenkern. Inhaltlich mutig fokussiert.

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Kölner Stadt-Anzeiger: Sinnsucher

Was macht das Leben sinnvoll in Zeiten des Lockdowns? Der herzliche, volksnahe Kölner Priester Franz Meurer hockte während der Fastenzeit 2020 täglich – insgesamt 37 mal – mit Jürgen Wiebecke, einem Journalisten mit philosophischem Background, im Pfarrhaus zusammen, um eine halbe Stunde lang die Sinnfrage tagesaktuell zu beantworten. Ein tiefes Gespräch gepaart mit rheinischer Fröhlichkeit, das «nur» aus zwei überzeugenden, sympathischen Stimmen besteht, ganz ohne Verpackung. Eine keineswegs nur katholische oder kölsche Podcastserie, die auch 2021 aktuell und hörenswert bleibt.

LINK zu den Podcasts.

Kölner Stadtanzeiger: Die Wochentester

Klingt ein bisschen wie Boulevardfernsehen: ein berühmter Fernsehkoch und ein bekannter Politiker mit 48 Jahren Politikerfahrung treffen sich wöchentlich, um die News der Woche zu diskutieren. Sie laden sich dazu auch prominente Gäste ein zum «Interview der Woche». Der Podcast ist professionell verpackt, mit instrumentalem Intro und einer weiblichen «Station-Voice». Christian Rach und Wolfgang Bosbach treffen Promis wie den Showmaster Günther Jauch oder FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Was neu und erstaunlich daran ist? Dass dies alles im Rahmen einer Podcastreihe einer regionalen Tageszeitung geschieht.

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Kurier: Dunkle Spuren: Der Fall Friedrich Felzmann

Der True Crime-Podcast der österreichischen Tageszeitung Kurier berichtet über den steirischen Doppelmörder Friedrich Felzmann, der seine Nachbarn erschossen hat und seit drei Jahren auf der Flucht ist. Die Reihe arbeitet mit dramatischer Musik, Geräuschen und O-Tönen von Ermittlern und Nachbarn, eine Journalistin und ein Journalistin erzählen die Story. Low Budget, sagen die Macher. Aber es klingt gar nicht billig, sondern nach professionellem Audio-Storytelling.

Hier geht es zum Fall von Friedrich Felzmann: LINK

Hier geht es zu allen Teilen der Serie: LINK

Kurier: Fake Buster

«Bleibt skeptisch – aber hört uns gut zu!» ist das wiederkehrende Credo in der wöchentlichen Podcast-Serie über Verschwörungstheorien. Drei Journalisten suchen jeweils nach Fakten, die diese Theorien bestätigen oder falsifizieren. Im Jahr 2020, von Trump und Corona geprägt, eine hörenswerte redaktionelle Audio-Innovation.

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NZZ am Sonntag: Sihlquai

Ein fünfteiliger Podcast, der ein Drama am Drogenstrich am Zürcher Sihlquai dokumentiert: Prostituierte und Drogensüchtige wurden entweder vermisst oder ermordet aufgefunden. Von Tätern fehlt bis heute jede Spur. Der Podcast rollt den Fall neu auf. Aufwändig produziertes Feature, bei dem hört, dass die Krimi-Autorin Christine Brand, der Sound-Designer Simon Meyer und der Podcast-Produzent This Wachter mehrere Wochen zusammengearbeitet und produziert haben.

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NZZ am Sonntag: Vermisst: Ursula Koch

Ursula Koch war die erste Parteipräsidentin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Nach internen Streitigkeiten zog sie sich vor 20 Jahren radikal aus dem öffentlichen Leben zurück. Bis heute. Der sechsteilige Podcastserie fragt: Wo ist Ursula Koch? Die Serie arbeitet mit allen akustischen Mitteln, die Audiomedien zur Verfügung stehen. Man hört: das ist mit hohem Produktions- und Rechercheaufwand produziert worden. Dramaturgie und Produktionsqualität top.

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Politiken: Podcast Daily

Die beste News-Story des Tages wird im Interview mit einem Journalisten oder einer Journalistin präsentiert. Eine sehr persönliche Art des Storytelling kommt so zustande: der verärgerte Musikkritiker, der verblüffte USA-Korrespondent, der aufgeregte Politikreporter sitzt einem akustisch gegenüber wie am eigenen Wohnzimmertisch.

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Sindelfinger Zeitung/ Böblinger Zeitung: Willi und Dödel

Sindelfingen und Böblingen sind Nachbargemeinden, deren Bewohner sich wechselseitig lieben und hassen zugleich. Dirk «Dödel» Hamann und Jürgen «Willi» Wegner sind Lokalredakteure in den beiden Städten. Im Podcast spielen sie mit diesem Kontrast, kommentieren lokale Meldungen und interviewen den Mann oder die Frau der Woche. So geht Lokaljournalismus als wöchentlicher Audiofile.

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Veröffentlicht am 23. Februar 2021 auf www.newspaperaward.org